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Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte

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»Ein Video aus meiner Nachbarschaft«, schreibt A. Aufgenommen bei Nacht, aus einem Fenster im Herzen Teherans. Ein unsichtbarer junger Mann ist zu hören. »Tod der Hinrichtungsrepublik!« ruft er, sichtlich bemüht, die Worte richtig auszusprechen. »Er hat eine Behinderung, doch das hält ihn nicht davon ab, seit Beginn der Proteste auf das Dach zu steigen und ›Tod dem Mörder, dem Obersten Führer!‹ zu rufen«, erklärt mir A.. »Manchmal hallt es wütend zurück: ›Führer Khamenei hat keine Wurzeln in unserer Erde. Der Aufstand wird nicht aufhören!‹«.

Zorn und Verzweiflung, auf die Straße gebrüllt, im Schutz der Dunkelheit. Stimmen, die von einem täglichen, zermürbenden, andauernden Krieg erzählen. Von einer Gesellschaft, die sich »unter Besatzung« oder »in Geiselhaft« sieht, in der dunkelsten Phase ihrer Geschichte. Eine Gesellschaft, deren grundlegende Werte und Lebensvorstellungen sich seit einigen Jahren – noch einmal verstärkt nach der Erschütterung der vergangenen Proteste – fundamental und unumkehrbar verschieben. In der vielfältige Protestformen zur neuen Normalität geworden sind – die jede für sich lange Gefängnisstrafen oder Peitschenhiebe zur Folge haben können. Um die Dimension der Umwälzung zu verstehen – einige sprechen gar von einem zivilisatorischen Wandel – , nehme ich Kontakt auf mit Frauen im Land, deren Widerstand ich seit einigen Jahren verfolge und in meinem Buch Iran – Die Freiheit ist weiblich dokumentierte.

»Ich bin hoffnungsvoller geworden. Wir, die Familien der Regimeopfer, haben lange geduldig auf diesen Moment gewartet. Auf den Moment der Bewusstwerdung in der Gesellschaft, auf dieses Miteinander, diese beispiellose Vereinigung«, erzählt mir Schahnaz Akmali. Hoffnung – ausgerechnet aus dem Munde einer Mutter, deren Sohn 2009 bei einer Anti-Regime-Demonstration getötet wurde. Eine zentrale Figur in der Bewegung der Mütter, deren Kinder vom Regime erschossen wurden, und die nicht aufhören, an die Straflosigkeit der Verantwortlichen zu erinnern...

Den einen fehlt die Bereitschaft zum Urteil, weil sie Sorge haben, falsch zu liegen, und sich darum, wenn überhaupt, erst im Nachhinein äußern; den anderen mangelt es an der Fähigkeit, komplexe Entwicklungen einzuschätzen, weswegen sie zu vorschnellen und einseitigen Urteilen neigen. Erstere sind in der Regel der »schweigenden Mehrheit« zuzurechnen. Letztere sind das Rekrutierungspotenzial des Populismus in all seinen Spielarten.

Als solide kann man Demokratien nur dann bezeichnen, wenn keine der beiden Gruppen die Mehrheit stellt; wirklich stabil sind Demokratien erst, wenn beide Gruppen zusammengenommen in der Minderheit sind. Das erklärt, warum demokratische Ordnungen, mit deren Fortbestand die Bürger auf lange Zeit hin rechnen können, eher selten sind. Wenn von den Bedrohungen der Demokratie die Rede ist, wird zumeist auf äußere wie innere Feinde der demokratischen Ordnung verwiesen.

Das ist sicherlich nicht falsch, erfasst aber nur unzureichend die hoch anspruchsvollen Bestandsvoraussetzungen der Demokratie: Innere und äußere Feinde haben alle politischen Ordnungen, die Existenz von Feinden ist kein Alleinstellungsmerkmal der Demokratie...

Ist die Gesellschaft tatsächlich gespalten oder scheint es nur so? Haben sich die konservativen Parteien zum Rechtsradikalismus geöffnet oder wurde der Demokratiebegriff vom progressiven Lager derartig mit moralischen Forderungen aufgeladen, dass er breite Mehrheiten überfordert? Erleben wir eine flächendeckende Verrohung oder umgekehrt eher eine endemische Hypersensibilität, die den offenen Austausch von Argumenten erschwert? In all diesen Fragen zeichnet sich kein Konsens ab.

Vermutlich liegt dies schlicht daran, dass die Krise der repräsentativen Demokratie eben nicht eine Wurzel hat, sondern sich Problemlagen wie bei einem Syndrom aufeinanderschichten, ja gegenseitig verschärfen. Die ökonomische Verunsicherung der Mittelschichten, die massive Prekarisierung der unteren Einkommen, eine extreme Vermögensungleichheit, die kulturelle Verunsicherung durch Migration, der Eindruck, der Staat verliere seine Handlungsfähigkeit, die am Horizont drohende Klimakatastrophe – und zu alldem ein Medienwandel, der es Argumenten schwieriger und Empörungen leichter macht. Es geschehen, so kann man vermuten, mehrere Umbrüche zugleich, eskalierend in einer Polykrise, in der die Politik reaktiv von einem Brandherd zum nächsten eilt.

Die Konsequenzen dieser tektonischen Verschiebungen für den Zustand der Demokratie lassen sich an heftigen Einzelereignissen ablesen, die wie vulkanische Eruptionen die Prozesse in den tieferliegenden Schichten anzeigen. In vielen Ländern geht es längst nicht mehr nur um Interessenkonflikte, um das übliche Hin- und Her der ideologischen Lager, um den heftigen Streit um den besten Weg, sondern um die Spielregeln selbst, um die Fundamente der Demokratie...

NG|FH: Herr Nida-Rümelin, ist Streit in der Regierung eigentlich ein Schaden für die Demokratie?

Julian Nida-Rümelin: Demokratie besteht ja darin, dass verschiedene Meinungen geäußert und gegeneinandergestellt werden, dass Argumente im öffentlichen Raum vorgebracht werden. Dass in Berlin eine Regierung aus drei Parteien von Meinungsverschiedenheiten geprägt ist, zumal aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht mehr eine Partei massiv dominiert, ist erst mal überhaupt kein Problem. Schwierig wird es, wenn die Legitimation der Regierung infrage steht, weil Teile der Regierung in Fundamentalopposition gehen. Soweit sind wir noch nicht – aber manchmal hat man schon den Eindruck, dass die FDP zwar der Regierung angehört, aber sich gleichzeitig in Opposition befindet.

NG|FH: Weil sie bei Wahlen immer wieder spürt, dass zumindest ein Teil ihres Spektrums die Koalition so nicht will?

Nida-Rümelin: Das ist sicher so. Aber die Frage ist doch, ob es für die FDP selbst glücklich ist, wenn sie sich als Opposition in der Regierung präsentiert und nicht als Gestalterin, die in bestimmten Fragen deutlich ihre Handschrift erkennen lässt.
Es gibt zum Thema Streit in der Politik ja zwei Theorien. Die Konservativen scheuen den offenen Konflikt und sagen, wer streitet wird nicht gewählt. Von links her gab es immer auch die These, dass das öffentliche Aushandeln von Kompromissen unvermeidbar zum Regierungshandeln gehört. Ist an beidem etwas dran?...

Konzeptionelle Überlegungen und empirische Beobachtungen aus europäischen Nachbarländern helfen, das Halbdunkel möglicher Umgangsweisen zu beleuchten. Eine Mischung aus inhaltlicher Auseinandersetzung und repressiven Maßnahmen erscheint am besten geeignet, um Populismus zu begegnen.

Das Verhältnis von Demokratie und Populismus ist ein ambivalentes: Populist/innen halten sich oftmals für die »wahren Demokrat/innen«. Ihre Ideologie ist es, das »wahre« Volk an die Regierung zu bringen. Ihre Gegner/innen wiederum sehen darin eine Gefahr für die liberale Demokratie. Theoretisch kann der Populismus beides sein – Revitalisierungskur und Gefahr. Margaret Canovan und Cas Mudde verdanken wir die Einsicht, dass Populismus stets die Existenz eines »wahren« Volkes postuliert.

Der Rechtspopulismus definiert es ethnisch-national und exkludiert damit aus dieser Sicht nicht-zugehörige Bevölkerungsgruppen. Der Linkspopulismus appelliert an die »normalen Menschen« und strebt nach Inklusion von bislang unzureichend repräsentierten Gruppen. Beide Populismen gehen davon aus, dass eine korrupte Elite ihnen den berechtigten Machtzugang verwehre...

Die Ampel hat sich viel vorgenommen. Das Ziel lautet, nach dem Stillstand der Merkeljahre eine ambitionierte Politik des Fortschritts in die Tat umzusetzen. Tatsächlich hat diese Regierung so viele Herausforderungen zu bewältigen und so viele hoch relevante Initiativen gleichzeitig auf den Weg gebracht, wie kaum eine andere Regierung seit 1949. Sie hat sich in den Post-Corona-, Kriegs- und Inflationskrisen bewährt. Trotzdem ist die Unzufriedenheit mit ihr so groß wie mit nahezu keiner anderen Regierung zuvor.

Sicherlich hängt dies auch mit einer allgemeinen pessimistischen Grundstimmung zusammen, die sich in den vergangenen Monaten vor dem Hintergrund von Krieg, Inflation, Energiewende und eklatanten Defiziten in der öffentlichen Infrastruktur noch verstärkt hat. Und jetzt, wo die Regierung über den Krisenmodus hinausgehen und sich wieder eigenständiger an die Arbeit machen kann, unterlaufen ihr Fehler, die ihrem eigenen Fortschrittsanspruch entgegenstehen.

Die gerade laufende Debatte über das Gebäudeenergiegesetz vermittelt einen nachhaltigen Eindruck davon, wie schnell sich eine Regierung, die ambitioniert vorgeht, einer fast kulturkämpferischen Blockade durch Teile der Gesellschaft und der Medien gegenübersehen kann. Dabei zeigt sich, dass die Attacken grundsätzlicher Kritiker – die von der AfD, Teilen der CDU, über Bild, Cicero, Tichys Einblick bis hin zu unzähligen Social-Media-Kanälen reichen – in der Gesellschaft gehört werden...

Euro-, Weltfinanz-, Migrations- und Coronakrise, momentan der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Herausforderungen durch den Aufstieg autoritärer und rechtspopulistischer Kräfte, die Demokratien und supranationale Institutionen wie die EU von innen heraus bedrohen und aushöhlen. Dazu die über all dem schwebende Klimakrise und die Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg, die längst auch in wohlhabenderen Staaten verbreitet ist. Wie gehen die Jüngeren mit dieser Konstellation um? Und wie steht es vor diesem Hintergrund um die Kommunikation und die Solidartität zwischen den Generationen heute?

Haben wir nicht schon vielfach Generationen zu »Krisengenerationen« erklärt, generationelle Gräben befürchtet, womöglich gar beschworen und uns schlussendlich darüber gewundert, wie die Dinge dann doch geräuscharm weitergingen oder generationelle Einstellungen positiver ausfielen, als gedacht? Man darf nicht drumherum schreiben, eines ist klar: Die Klimakrise stellt – und das wohlgemerkt nicht erst seit wenigen Jahren – weitaus existenziellere Fragen, und ist daher mit früheren Krisen vermutlich kaum vergleichbar. Könnte es also sein, dass diese Krise als jene in die Geschichtsbücher eingehen wird, die die Generationen entzweite?...

NG/FH: Herr Badenschier, Sie sind im zweiten Wahlgang als Oberbürgermeister wiedergewählt worden – gegen einen Mann von der AfD. Wie schlägt man die Rechten?

Rico Badenschier: Man muss nahe bei den Menschen sein. Das klingt immer so platt, aber es stimmt. Hier in Schwerin war es für mich auch nach der ersten Amtszeit nochmal eine besondere Herausforderung. Der Gegenkandidat von der AfD war in der Stadt bekannt und menschlich bei vielen durchaus angesehen.

NG/FH: Hatte sich in der Grundstimmung der Stadt denn etwas geändert?

Rico Badenschier: Für mich sind da immer Gespräche mit den alten Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus wichtig, wo ich früher gearbeitet habe. Da gibt es die Ärztinnen und Ärzte, die von der Grundeinstellung her eher schwarz-grün denken, manche sicher auch FDP-nah. Und es gibt das medizinisch-technische Personal und die Pflegerinnen und Pfleger, die ich – im Unterschied zum kosmopolitischen Spektrum - eher kommunitaristisch nennen würde, auf das eigene Lebensumfeld und die Familie fixiert. Von denen wählen viele SPD, andere haben bisher auch Linke gewählt. Aber jetzt gab es viele, für die bei dieser Personenwahl der Kandidat der AfD interessant war. Aus solchen Gesprächen war mir klar, dass das ein starker Gegner wird. Für mich gilt: Ich habe meine eigene Kraft immer aus der politischen Unabhängigkeit bezogen, ich komme ja nicht aus der Politik. Das ist wichtig, gerade jetzt....

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