Es begann alles mit der Frage: „Kennen Sie einen Juden?“, die Opernregisseur Barrie Kosky 2018 an vorübergehende Menschen am Brandenburger Tor stellte. Die Antworten fielen dabei für ihn erschütternd aus, da sie meist in einem „Nein, ich nicht, no“ bestanden. Um dieser Wissenslücke entgegenzutreten, hat Birgit Lahann die bewegten Lebensgeschichten zahlreicher jüdischer Künstlerinnen und Künstler, die sie in ihrer journalistischen Laufbahn erfahren durfte, niedergeschrieben.
Es ist nur folgerichtig, dass Lahann ihr Buch nach der oben genannten Frage Koskys betitelt hat: »›Kennen Sie einen Juden?‹ Lauter Künstler von A wie Alejchem bis Z wie Zadek«. Denn ja, sie hat viele aus vielen Bereichen der Kunst kennengelernt, und teilt dieses Wissen nun mit ihrer Leserschaft. Sie schreibt über Schriftsteller wie Scholem Alejchem, Joseph Roth oder Max Brod, Journalistinnen wie Cordelia Edvardson, Theaterschauspieler wie Ernst Deutsch oder Alexander Granach, Musiker wie Coco Schumann oder ebenjener Barrie Kosky. Mit vielen hat sie persönlich verkehrt, hat Interviews mit Elisabeth Bergner und Martin Walser geführt, Fritz Kortner und Peter Zadek bei ihrer Arbeit am Theater begleitet, oder sich mit Wolf Biermann über das Leben und den Tod ausgetauscht.
Die Lebensgeschichten, über die Lahann zu berichten weiß, sind so vielfältig wie ihre Erzählerinnen und Erzähler. Sie erzählen vom Aufwachsen im jüdischen Schtetl, der konstanten Auseinandersetzung mit Antisemitismus und dem Schmerz, der mit dem Holocaust verbunden ist. Es sind aber auch Geschichten, die von Liebe erzählen, von der Freude am Leben und der Kunst. Erzählungen voller ereignisreicher Erfahrungen, manchmal erfüllt von Melancholie, aber auch sprühend vor Witz und Lebenslust, aller Leiden zum Trotz. All dies schildert Birgit Lahann klar und eindrücklich und macht die Personen hinter diesen Geschichten deutlich fassbar.
Birgit Lahann, geb. 1940, ist Journalistin und Autorin in Hamburg, studierte Germanistik und Theaterwissenschaften, arbeitete u.a. mit Peter Zadek, war Reporterin beim Südwestfunk Baden-Baden und 25 Jahre Autorin beim STERN. Sie erhielt den Theodor-Wolff-, den Emma- und den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Bei Dietz erschienen: »Am Todespunkt. 18 berühmte Dichter und Maler, die sich das Leben nahmen« (2014), »Peter Weiss. Der heimatlose Weltbürger« (2016), »Hochhuth. Der Störenfried« (2016), »Nietzsche. Ich bin Dynamit« (2017), »Wir sind durchs Rote Meer gekommen, wir werden auch durch die braune Scheiße kommen. Schriftsteller in Zeiten des Faschismus« (2018), »Als endete an der Grenze die Welt. Nach der Wende – Geschichten einer untergegangenen Gesellschaft« (2020).
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