In Deutschland haben die Themen Flucht und Migration medial wieder Dauerkonjunktur. Dabei ist Flucht nach Deutschland und Flucht aus Deutschland keinesfalls ein neues Phänomen, wie Harald Roth in seinem Sammelband »Kein Land, nirgends? Flucht aus Deutschland, Flucht nach Deutschland 1933–1945 und heute« (Dietz-Verlag) zeigt. In der aktuellen Podcast-Folge von »Dietz & Das« sind zwei eindrückliche autobiografische Texte aus diesem Band zu hören.
Der kurdische Schriftsteller Sajjad Jahan Fard, der mit kurdischem Namen Jiyar Kirmanshani heißt, beschreibt in »Die Stimme, die mich nicht loslässt« die Traumata und Erinnerungen, die einen Menschen auch nach einer Flucht lebenslang verfolgen. Schon seine Geburt beschreibt er – seine Mutter entbindet unter dem dröhnendem Lärm von Kampfflugzeugen – als ein gewaltsames Herausgezerrtwerden in eine Welt, die ein Kriegsschauplatz ist. Aufgrund seines Forschungsgebiets, der kurdischen Sprache und Literatur, und seiner Nähe zu kurdischen Intellektuellen und Verlagen war er sowohl im Iran als auch der Türkei staatlichen Repressionen ausgesetzt und wurde mehrmals inhaftiert. Von 2018-2021 war er Stipendiat des Writers-in-Exile-Programms des PEN-Zentrums und lebt seitdem in München.
Der zweite Text »Ich bin ein Mensch, Ich heiße Azim« wurde aus einem Interview mit dem Künstler Azim Fakhri zusammengestellt. Die Ausschnitte stammen aus dem Film »Wir sind jetzt hier – Geschichten über das Ankommen in Deutschland« von Ronja von Wurmb-Seibel und Niklas Schenck. Azim erzählt darin von der Sprachbarriere, den Schwierigkeiten, sich in einem neuen Umfeld zurechtzufinden, und seinem Umgang mit rassistischen Anfeindungen. Seine Botschaft an die Welt ist eine zutiefst menschliche: »Liebe ist das, was ich vermisst habe. Wir sind keine Steine, sondern Körper voller Gefühle. Wir haben alle das gleiche Herz, das gleiche Blut, wir sind Menschen!«
Als ein »Archiv der Flucht« sammelt Harald Roth in »Kein Land, nirgends?« die Stimmen und Erinnerungen von Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden um an einem anderen Ort neu anzufangen. Im Zentrum stehen dabei zum einen Berichte von Menschen die zwischen 1933-45 aus vor dem NS-Terror aus Deutschland geflohen sind. Außerdem finden sich Texte von Menschen, die heute – im 21. Jahrhundert – aus ihrer jeweiligen Heimat nach Deutschland flohen. Persönliche und eindrückliche Schilderungen, die die Menschen hinter dem Begriff »Flüchtling« hervortreten lassen. So kann die Textsammlung als Appell verstanden werden, eine aktive Erinnerungskultur zu praktizieren und entmenschlichenden Diskursen entschieden entgegenzutreten.
Harald Roth, geb. 1950, Publikationen zur NS-Zeit, zuletzt »Was hat der Holocaust mit mir zu tun?«, im Dietz-Verlag »Nie wegsehen! – Vom Mut menschlich zu bleiben« (2020). Er ist Mitglied von »Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.« und Mitinitiator der KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen.
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